Pressespiegel der Konzerte 2015
Schwärmerische Engelsgesänge – NPW–Konzert mit Chören der Region
Charles Gounod hat die Musikwelt mit dem populärsten Schmachtfetzen aller Zeiten beglückt. Sein „Ave Maria“ sentimentalisierte das C–Dur–Präludium aus Bachs „Wohltemperiertem Klavier“ durch schwülstige Harmonik. Kein Wunder also, dass der Franzose im Land des Thomaskantors unter Klitschverdacht steht.
Das hielt die Neue Philharmonie Westfalen (NPW) nicht davon ab, sich mit Chören der Region zuerst im Musiktheater im Revier und gestern Abend im Ruhrfestspielhaus an seine kolossale geistliche Trilogie „Mors et Vita“ zu wagen. Hierzulande wird der in seinen Ausmaßen monströse, in seiner musikalischen Textur gemessen an Bach Sakralmusik oder Mozarts Requiem eher schlichte Zyklus so gut wie nie aufgeführt.
Gounods Klang gewordene Beschwörung der Verdammnis und der Erlösungshoffnung passt in den Trauermonat November. Und sie fügt sich vortrefflich ein in Generalmusikdirektor Rasmus Baumanns Bemühen, mit Qualitätsgewinn wie bei seinem städteübergreifenden Orchester die ambitionierten Laienchöre der Region zu bündeln, statt das Programm des obligatorischen Chorkonzerts auf drei Trägerstädte aufzufächern.
Als Zeremonienmeister des Schmachtens und Schwelgens kredenzte Gounod den Dreiteiler zur Uraufführung 1885 in Birmingham dem verklemmt bigotten viktorianischen England, in dem er auf der Flucht vor dem deutschen Einmarsch in Frankreich 1870 ein halbes Jahrzehnt als Chorleiter verbrachte. Der verhinderte Priester hat Messen, Oratorien und Motetten komponiert.
Alles, was die Qualität des Opernkomponisten Gounod ausmacht, fehlt in „Mors et Vita“: Reicher Klangsensualismus, Farbenzauber und inwendige dramatische Dichte. Und doch erwies sich das Bemühen um dieses Konglomerat aus Requiem und oratorischer Vision eines ewigen Jerusalems im Jenseits keineswegs als vergebens. Im MIR hatte Enrico Delamboye die Leitung, während GMD Baumann in der Intendantenloge lauschte. In Recklinghausen übernahm gestern Abend Alfred Schulze–Aulenkamp.
Geschmeidige Ausdruckswechsel
Der Städtische Chor Recklinghausen, der Städtische Musikverein Gelsenkirchen, der Oratorienchor der Stadt Kamen und der Chor der Konzertgesellschaft Schwerte bewiesen an diesem trotz leichter Kürzungen überlangen Abend nicht nur Standvermögen. Bravourös homogen gelang dem formidablen Chor erst recht der geschmeidige Ausdruckswechsel zwischen Erschütterung, Lobpreis und Erlösungssehnsucht.
Die Orchestereinstudierung setzte auf Kontraste. An Eleganz und Klangsensualismus blieben die Philharmoniker freilich jenes letzte Quäntchen schuldig, das Gounods Werk dem Geschmäkle des Trivialen enthoben hätte. Das Publikum zollte dem Wagnis dieses Abends freundlichen Beifall mit Anflügen von Begeisterung.
Bernd Aulich, Medienhaus Bauer, 11. November 2015
Ein Oratorium als himmlische Offenbarung
Es geht um Leben und Tod. Und das zum Dahinschmelzen betörend schön. Charles Gounods opulente geistliche Trilogie „Mors et Vita“, entstanden 1885, erklang am Montagabend im gutbesuchten Musiktheater im Revier als melodienselige, strahlende Hymne an die Musik und das Leben. Ein aufwendiges Projekt, das Neue Philharmonie Westfalen, vier Chöre und ein Solistenquartett mit beeindruckender Meisterschaft und Präzision stemmen. Jubel und Bravos krönten den ausgezeichneten, zweieinhalbstündigen Konzertabend.
Effektvoll musiziert
Den Komponisten Charles Gounod (1818–1893) kennt das breite Publikum vor allem wegen seiner schwelgerisch–sentimentalen Weise „Ave Maria“, intime Opernkenner lieben Gounods Sicht auf Goethes Faust unter dem Titel „Magarethe“. Nach der Aufführung seines gewaltigen, klangschönen Oratoriums werden ihm die Gelsenkirchener Musikfreunde garantiert auch für ein geistliches Oeuvre verehren. So effektvoll farbig, so hoch romantisch, intensiv dynamisch und facettenreich kommt diese opernhaft reine Komposition daher.
„Schrecklich ist es, mitten im Leben Gott in die Hände zu fallen“, eröffnet der über hundertköpfige, sehr gewaltige Chor mit dem Prolog den Abend, dessen größter Teil das Requiem in Anspruch nimmt, während sich Teil 2 und 3 der Auferstehung der Toten und dem Jüngsten Gericht widmen. Allein der vielstimmige Chor, der ständig gefordert war, ein Erlebnis, formiert aus versierten Sangeskünstlern der drei Träger des Landesorchesters, dem Städtischen Musikverein Gelsenkirchen, dem Städtischen Chor Recklinghausen, dem Oratorienchor der Stadt Kamen und dem Chor der Konzertgesellschaft Schwerte. Allesamt bestens einstudiert durch Christian Jeub, Alfred Schulze–Aulenkamp und Franz Leo Matzarath, so dass der leistungsstarke Mammut–Chor mit präzisen, transparenten und intonationssicheren Einsätzen überzeugte.
Himmlisch, wenn das Konzert hoffnungsfroh ausklingt
Bestens besetzt präsentierte sich auch das Solistenquartett: Alfia Kamalova, Ensemblemitglied am MIR brillierte mit ihrem klaren, höhensicheren geschmeidigen Sopran. Den Altpart meisterte souverän mit warmen Klang Maria Himles. Carlos Moreno Pelitari gefiel mit sicher geführtem Tenor und Piotr Prochera mit seinem kraftvollen Bariton. Das spielfreudige Orchester, inspiriert und engagiert geleitet vom Niederländer Enrico Delamboye, bewältigt grandios das effektreiche Oratorium. Himmlisch, wenn das Konzert hoffnungsfroh ausklinkt. Ein sakrales Programm mit Operndimensionen, für das es am Ende den verdient großen Jubel gab.
Elisabeth Höving, Artikel aus „Der Westen“, 10. November 2015
Von Verzweiflung bis Erlösung – Bemerkenswertes Mozart–Requiem in der Christuskirche
Wolfgang Amadeus Mozarts Requiem ist zum ewigen Vermächtnis für Verzweiflung und Erlösung geworden. Beethoven und Napoleon wurden mit diesen Klängen zu Grabe getragen – letztlich hat es sich sein Schöpfer selbst auf den Leib geschrieben. Der Komponist verstarb aus heute immer noch etwas ungeklärten Umständen.
Hatte der Städtische Chor soeben noch geschlossen für den Erhalt der NPW votiert, so erhob er nun seine Stimme in der Christuskirche – und dies in einer langjährig gewachsenen Symbiose mit der Neuen Philharmonie Westfalen. Eigentlich dürfte man nicht darüber nachdenken hier irgendetwas zur Disposition zu stellen!
Ein wenig atemlos und eine Spur zu zügig kommen die Beteiligten in dieses Requiem „hinein“. Durchaus hätte der Introitus eine Spur mehr Getragenheit und dadurch noch mehr Gewicht vertragen können.
Aber dann faszinieren die zügigen Parts umso mehr – vor allem hier liegt die Stärke von Alfred Schulze–Aulenkamps Dirigat. Mit spannungsvoll sich aufbauenden Crescendi wird die wahre Bedeutung dieses Wortes, nämlich „Anwachsen“ hautnah erfahrbar. Alles gipfelt im elektrisierenden Dies irea – und auch hier besticht die rasche Abfolge zwischen Chören und solistischen Parts durch atemberaubende Lebendigkeit und beste Präzision.
Beim Solistenquartett dominieren starke Kontraste zwischen dem voluminös–tiefen Bass von Paul Möllmann und dem glockenhellen Tenor von Robert Reichinek. Tina Stegemann, Sopran und Claudia Darius runden dies sehr nobel in die Höhe ab. Also wirken auch die fragilen gemeinsamen Passagen mit dem Chor transparent und schwerelos.
Der Kenner mag heraushören, dass sich die Tonsprache nach dem innig–schwermütigen Lacrymosa subtil ändert – wo eben nicht mehr Mozart selbst, sondern Schüler von ihm das unvollendete Werk in die zielgerade führten. Chor, Orchester und Solisten blieben auf jeden Fall einem tiefempfundenen, atmenden Bogen bis zum durchweg ergreifenden Schlussakkord treu!
Stefan Pieper, Zeitungshaus Bauer, 31. Mai 2015.
Gleicher Bericht erschien auch am gleichen Tage in der WAZ.
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