Pressespiegel der Konzerte 2012
Auch mit 75 noch jugendlich frisch
Städtischer Chor gönnt sich zum Jubiläum Puccini und Antonin Dvořák
Was wäre der Oper entgangen, wenn sich Giacomo Puccini getreu der Familientradition für eine Laufbahn als Kirchenmusiker entschieden hätte? Als Gelegenheitswerk, gar als Jugendsünde hat man seine Messa di Gloria abgetan, die er als 22jähriger komponiert hat.
Dieses Jugendwerk gönnte sich der Städtische Chor Recklinghausen zu seinem Jubiläumskonzert mit der hellwachen Neuen Philharmonie Westfalen (NPW) im Ruhrfestspielhaus – zusammen mit Antonín Dvořáks „Te Deum“, dem hymnischen Lobgesang eines reifen Komponisten. Die Kombination betonte, wie der vor 75 Jahren gegründete Chor jugendliche Frische und geradezu professionelle musikalische Reife vereint.
Reizvoll erschien der Kontrast der nur in der äußeren Form sakralen, im musikalischen Gehalt recht weltlich wirkenden Werke: innige gesangliche Emphase bei Puccini, wuchtige Sinfonik, in die der 58–köpfige Chor mit staunenswerter Schlagkraft einstimmte, bei Dvorák. In den großen gesanglichen Bögen bei Puccini lässt sich durchaus schon der große Opern–Melodiker vorausahnen. Der Italiener folgt in seiner lateinischen Messe dem traditionellen Ordinarium unter Verzicht auf das apokalyptische Dies irae. Wunderbar, wie klar akzentuiert der Chor das mehrstimmige Kyrie intonierte.
Unterbrechung Textlänge
Alfred Schulze–Aulenkamp, der die Chorgemeinschaft seit sechs Jahren leitet, widmete als Dirigent alle Aufmerksamkeit seinen Sängern. Das frohlockende Gloria und das von Puccini später erneut in seiner Oper „Manon Lescaut“ verwendete Madrigal mit Lars–Oliver Rühls engem aber passend timbriertem Tenor und Christoph Scheebens solidem Bariton setzten reizvolle Akzente.
Die Krone an diesem Abend aber gebührte neben dem klanggewaltigen Jubiläumschor der MiR–Sopranistin Alfia Kamalova mit nuanciertesten Farben in Dvořáks „Te Deum“. So kantig der sinfonische Auftakt nach einem Paukenwirbel geriet, so bestechend glückte die Zwiesprache von Chor, Sopran und Holzbläsern. Im stürmischen Finale steigerte sich der Chor zu pompöser Wirkung. Festlicher kann ein Jubiläumskonzert kaum gelingen.
Bernd Aulich, Medienhaus Bauer, 11. Dezember 2012
Jugendwerk und Altersklasse
Im Vergleich von Puccinis früher „Messa di Gloria“ und Dvořáks „Te Deum“ zeigen NPW und Städtischer Chor den Älteren auf der Höhe seiner Kunst
In seinem Jubiläumsjahr setzt der Städtische Chor Recklinghausen auf Bewährtes in bewährter Kombination: Giacomo Puccinis frühe „Messa di Gloria“ und Antonin Dvořáks spätes „Te Deum“ werden allzu gerne zusammen geführt, wie jetzt erneut zum 75jährigen Chorbestehen. Zugleich war der knapp 80minütige Abend im Ruhrfestspielhaus das 4. Sinfoniekonzert im Jahresprogramm der Neuen Philharmonie.
Ahnung von opernhafter Grandezza
Ein Jugend– und ein Alterswerk also, beide entstanden gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Giacomo Puccini, Spross einiger Generationen von Kirchenmusikern, begann die Arbeit an seiner „Messa di Gloria“ – sollte aber nach der Uraufführung im heimatlichen Lucca nicht wieder zur Kirchenmusik zurück kehren. Funkeln also in diesem gesungenen Glaubensbekenntnis schon Anklänge an das Schaffen des späteren Opern–Genies? Das hieße wohl, diese frühe „Messa“ über zuinterpretieren, die sich erst im finalen „Agnus Dei“ zu einer Ahnung von opernhaften Grandezza aufschwingt.
Alfred Schulze–Aulenkamp, Chef der Gelsenkirchener Musikschule, und vielfach engagierter Chorleiter, dirigierte einen für dieses Werk etwas zu zaghaften Chor. Während die Musiker der Neuen Philharmonie feurig auftrumpften, wann immer Puccinis „Messa“ ihnen die Gelegenheit gab, fehlte den 80 Sängerinnen und Sängern das letzte Quäntchen stimmlicher Aplomb – die „Itálianiá“. Der bewährte Tenor Lars–Oliver Rühl und mehr noch Christoph Scheeben als äußerst wandlungsfähiger Bassbariton wussten dagegen ihre Partien dramatischer zu gestalten.
Unterbrechung Textlänge
Das kürzere „Te Deum“ Antonin Dvořáks präsentierte sich ohnehin im direkten Vergleich als das „größere“ Werk. Die amerikanischen Jahre des böhmischen Komponisten markierten nicht nur den Höhepunkt seiner beruflichen Karriere, sondern auch ein stupendes schöpferisches Hoch. Melodischer Reichtum und einfallsreiche Orchestrierung prägten auch sein – zum 500. Jahrestag der Columbus–Irrfahrt geschaffenes – „Te Deum“ vom ersten Paukenwirbel an.
Silbe für Silbe fein ziseliert
Zudem war´s ein glänzender Auftritt für eine junge Solistin des Musiktheaters im Revier. Mit seidigem Sopran und makelloser Diktion sang Alfia Kamalova das „Sanctus“. Silbe für Silbe fein ziselierte Gestaltungskraft. Auch der Chor führte mit teils ätherischen, teils hymnischen Einsätzen das Werk zu berückender Schönheit. Beim rauschhaften „Alleluja“–Finale bot er für die beiden Solisten Kamalova und Scheeben den exakt ausgemahlten Hintergrund.
Ralph Wilms, WAZ, 11. Dezember 2012
Mystischer Hauch des Abschieds
Die neunten Sinfonien der großen Klassik–Komponisten umweht der mystische Hauch des Abschieds. Des Abschieds vom Leben. Die Neunte war Beethovens letzte Sinfonie ebenso wie von Mahler und Bruckner. Eines dieser großen musikalischen Vermächtnisse erklang nun im Musiktheater im Revier, als gewaltiger, laut tönender und triumphaler Abschied von der Saison 2011/2012.
Gigantisch das unvollendete Werk, immens die Besetzung auf der Bühne: ein blechbläserstarkes Orchester, vier Chöre mit über 170 bestens eingestimmten Sängerinnen und Sängern und vier Solisten. Mehr Mensch geht kaum, mehr Musik auch nicht. Bruckners Testament ist ein volltönendes, klassisch–romantisches Klanggewitter, in der Interpretation der Neuen Philharmonie Westfalen unter der Leitung von Generalmusikdirektor Heiko Mathias Förster nichts für sensible Hörgänge und Akustik–Asketen.
Bruckner wollte für seine Sinfonie Nr. 9 d–Moll noch einmal alle musikalischen Ideen in die Wagschale werfen, seinen ganzen Klangkosmos zu einer tönenden Kathedrale auftürmen. Keinem Geringeren als dem lieben Gott widmete er sein Werk, den vierten Satz aber konnte er nicht mehr vollenden, weil Gevatter Tod auf den Plan trat. Bruckner selbst soll vorgeschlagen haben, statt eines 4. Satzes, der lediglich als Fragment vorliegt, sein bombastisches Chorwerk „Te Deum“ zu spielen. Eine Aufführungspraxis, die der GMD favorisierte.
Flirrende Streicherklänge
Ätherisch schwebend begann die Sinfonie mit flirrenden Streicherklängen bis sich der Tutti–Sound gewaltig Bahn brach. Förster traf den richtigen Ton, baute mit seinem Orchester einen effektvollen, dynamischen Spannungsbogen auf, den er bis zum Schluss halten konnte. Nur in wenigen Sequenzen litt die Transparenz unter der eruptiven Kraft der Bläser. Ruhig verklang der dritte Satz, bevor sich beim „Te Deum“ noch einmal exstatische Klangmassen Bahn brachen.
Kraftvoll und markant intoniert
Der Städtische Musikverein Gelsenkirchen, der Städtische Chor Recklinghausen, der Oratorienchor der Stadt Kamen und der Chor der Konzertgesellschaft Schwerte sowie des hervorragenden solistische Vokalquartetts aus Majken Bjerno (Sopran), Raphael Pauß ( Tenor) Anna Agathonos (Alt) und Jacek Janiszewski (Bass) intonierten kraftvoll und markant die fünf anspruchsvollen Sätze in C–Dur. Für den hochkonzentrierten Ausflug in den Klangkosmos von Bruckner gab es viel Beifall und Bravos.
Es war übrigens die Neue Philharmonie Westfalen unter ihrem damaligen Leiter Johannes Wildner, die im Jahre 1998 Bruckners Neunte auf CD eingespielt hat – mit dem von Wissenschaftlern rekonstruierten 4. Satzes. Wildner wie Förster ein versierter Bruckner–Dirigent, nannte diese bei Sonarte produzierte Scheibe damals „eine Weltsensation“.
Elisabeth Höving, WAZ, 21. Juni 2012
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