Pressespiegel der Konzerte 2010
Zum Sterben schön
Wenn Trost die Trauer lindert, Hoffnung über Todesangst siegt, wenn Leid sich in Freude verwandelt – und das am Totensonntag, dann kann eigentlich nur ein Werk auf dem Konzertprogramm stehen: Johannes Brahms „Ein deutsches Requiem“. Dessen unsterbliche Klänge interpretierten am Sonntagabend im gut besuchten Ruhrfestspielhaus der Städtische Chor Recklinghausen und die Neue Philharmonie Westfalen. Und zwar zum Sterben schön! Diese Totenmesse gilt zu Recht als die hoffnungsvollste, positivste und natürlich romantischste ihres Genres. Leben, nicht Tot, lautet die musikalische Botschaft. Die setzte der opulent aufgestellte Vokalapparat unter aufmerksamer Leitung von Alfred Schulze–Aulenkamp beeindruckend und imposant um.
Verhalten, fast flüsternd die Eröffnung „Selig sind, die da Leid tragen“ und leuchtend farbig der Schluss „Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben“. Zwischen dieser Klammer: glänzende Aufbruchstimmungen, milde Schattierungen, getragene, wehmütige Momente und wunderbare friedliche Gelassenheit. Die Choristen fanden zu einem homogenen, warmen Klang, präsentierten sich artikulationssicher mit gutem Gespür für die unterschiedlichen Nuancen. Für Stimmungen zwischen nahezu barocker Pracht und intimer Traurigkeit. Unter Schulze–Aulenkamp begleitete das Orchester verlässlich und kultiviert, formte ein großes Ganzes.
Unterbrechung Textlänge
Ein echter Glücksgriff auch die beiden Solisten. Die preisgekrönte Sopranistin Inga Lisa Lehr gestaltete ihren Solopart „Ihr hab nun Traurigkeit, ich will euch trösten“ mit klarer gefühlsvoller Stimme. Ein klangschönes Highlight.
Bariton Thomas Peter gefiel durch Modulationsfähigkeit und wohltönendem Volumen. Ein gelungenes Gemeinschaftswerk von Chor, Orchester, Solisten und Dirigent, für das es am Ende heftigen Beifall gab.
Im Juni 2011 Symphonie von Mahler:
Nach diesem musikalischen Highlight freut man sich doch schon auf das nächste Konzert, auch wenn das noch ein wenig auf sich warten lässt: Am 19. Juni singt der Städtische Chor in Gustav Mahlers Auferstehungssymphonie.
Elisabeth Höving, WAZ, 22. November 2010
Die Trauer weicht der Zuversicht
Nur 58 Minuten braucht der Belgier Philippe Herreweghe für das Requiem von Johannes Brahms. Mit exakt einstündiger Aufführungsdauer zählt auch Kurt Masur zu den zügigen Interpreten.
Das Extrem markiert Enno zu Guttenberg mit 77 Minuten. Und im Ruhrfestspielhaus erwies sich auch Alfred Schulze–Aulenkamp als bedächtiger Dirigent, der keine Eile kennt. Immerhin 71 Minuten benötigte er, um mit der Neuen Philharmonie Westfalen (NPW) und dem Städtischen Chor Recklinghausen die gewaltige Architektur des anspruchsvollen Chorwerks zu bewältigen.
„Ziemlich langsam“ schreibt Brahms für die Trauerklage des Eingangsteil vor. Und Schulze–Aulenkamp nahm den Komponisten mit getragenem Zeitlupen–Maß ebenso beim Wort, wie im Finalteil, das sich der Komponist „feierlich“ wünschte. Das Feierliche und Formstrenge prägte diese Aufführung. Penibel hielt sich der Dirigent an die durchdachte Symmetrie der sieben Teile, in der exakt in der Mitte die Trauer der Zuversicht weicht.
Unterbrechung Textlänge
Am besten gelang der zweite Teil in der dynamischen Zuspitzung des packend eingängigen, von den Philharmonikern majestätisch dargebotenen Trauermarsch–Motivs.
Bewundernswert genau traf der Städtische Chor Recklinghausen mit weichem Klangbild, homogener Intonation und klarer Artikulation den Tonfall der Demut zu Beginn, die schwelende Todesangst im dritten Teil und den Hoffnungszauber im Finale. In den feierlichen Choralsätzen und erst recht in schwebend entrückten Momenten größter Ergriffenheit erreichte er eine imponierende poliphone Dichte.
Puristen mag das vibratoreiche Einschwingen des Soprans der jungen Inga Lisa Lehr befremden. Ihr tröstendes Solo geriet gleichwohl eindrucksvoll. Ausdrucksstark zeigte sich in seinem von Todesfurcht geprägten Solo im dritten Teil der sonor gefärbte Bariton von Thomas Peter.
Totenmessen haben viele Komponisten geschrieben. Doch Brahms zählt zu den wenigen, die nicht nur die kanonische Form der katholischen Liturgie verwarfen, sondern statt der Hoffnung auf Erlösung der Toten den Trost für die Lebenden in den Mittelpunkt rückten. Dieses Werk aus protestantischem Geist am Erlösungssonntag aufzuführen, erschien besonders passend.
Bernd Aulich, Medienhaus Bauer, 22. November 2010
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